TYPO Berlin 2012: Lars Müller — Angemessene Gestaltung
»Ich mag das Wort nicht mehr hören … diesen der Forstwirtschaft entnommenen Begriff der Nachhaltigkeit, der Fetisch und Komplize eines schlechten Gewissens ist«. Mit diesen Worten leitet Lars Müller seinen Vortrag zum Ende des ersten TYPO-Tages ein. Nachhaltigkeit im kleinen, im persönlichen Alltag in der Form nicht greifbar, wenn man beispielsweise für jedes Buch das man produziert, einen neuen Baum pflanzen müsste. Für ihn anstrengend und fast unmöglich.
Foto © Gerhard Kassner
Wie sieht es mit Gestaltung und Nachhaltigkeit aus? Heute kämpfen Gestalter ums Überleben. Design ist zu einer schlecht bezahlten Dienstleistung geworden, »das war früher anders«, sagt er. Anfangen zu Denken und damit die Kommunikation als großes Ganzes zu betrachten würde einen wahren Mehrwert schaffen. Bücher sind für ihn in jeder Beziehung nachhaltig. Vor allem im Vergleich zu den neuen digitalen Medien, die acht Prozent unseres Gesamtenergiebedarfs abdecken, ist das Buch besonders ökologisch. Neue Medien sind nach Lars Müller »unverbindliche und schnelllebige Schwarmintelligenzen« ohne Mehrwert und Konsistenz.
In einem Rückblick in die 70er Jahre zeigt er die Anfänge seiner Arbeiten, die teilweise naiv aber nach seinen Worten »ehrlich« gestaltet wurden. Seine Kunden waren Biobauern, Kulturradios und Weinhändler. 1982 gründete er seinen Verlag Lars Müller Publishers ohne jegliche politische Hintergründe. Eines der ersten Buchprojekte, die gute form von Max Bill, wurde noch weitestgehend analog durch Handskizzen, Bildmontagen durch Negativfilme und Handsatz produziert. Vorbilder und zugleich Freunde in sachlicher und konstruktivistischer Gestaltung waren damals Josef Müller-Brockmann und Paul Lohse. Zu dieser Zeit entdeckte Lars Müller die Kraft des Visual Reading, die Bildlektüre initiiert das Nachlesen in kleineren oder längeren Texten. Das Bild wird nicht als Illustration des Textes begriffen, sondern als visuelle Sprache, mit der sich der Leser orientiert.
Heute, gut 30 Jahre später steht er noch immer zu diesem Ansatz und verfolgt in einer gesellschaftsthematischen Buchreihe den Ansatz des Visual reading. Mensch Klima!, Das Bild der Menschenrechte und Wem gehört das Wasser? sind visuelle Bücher, die den Leser zum eintauchen in tiefere Lektüre bewegen sollen. Seine Gestaltung hat hierbei das Ziel, nicht wahrgenommen zu werden, sondern selbstverständlich zu wirken. Lars Müller sieht heute viele »kaputt-gestaltete« Bücher. Für ihn ist gute Gestaltung in erster Linie angemessen. Schlussworte und alles zusammenfassendes Fazit: »Nachhaltigkeit ist nicht Ziel, sondern Folge unseres Tuns«.
Lars Müllers frühe Jahre als Designer wurden maßgeblich durch seine enge Freundschaft mit dem konstruktivistischen Künstler Richard Paul Lohse und dem Grafikdesigner Josef Müller-Brockmann geprägt. Dies führte zu Müllers langjähriger Vorliebe für geradliniges, funktionales Design. Seit 1996 ist Müller Partner von »Integral Concept«, einer interdisziplinären Designgruppe, die in Paris, Mailand, Zürich, Berlin und Montreal tätig ist. Im Rahmen von »Integral« entwirft Lars Müller visuelle Identitäten für Nichtregierungsorganisationen und Institutionen, die sich mit kulturellen, sozialen und ökologischen Belangen befassen, und ist außerdem als Berater im Bereich Kommunikation tätig. 1983 begann Lars Müller mit der Herausgabe von Büchern zu den Themen Typografie, Design, Kunst, Fotografie und Architektur und hat unter dem Namen Lars Müller Publishers bis heute rund 400 Titel herausgegeben. In jüngster Zeit hat er sich auch auf visuell orientierte Bücher zu sozialen Themen wie Menschenrechte und Ökologie verlegt. Viele Bücher werden von Müller selbst initiiert und herausgegeben, und die meisten von ihnen wurden in seinem eigenen Atelier gestaltet. Als leidenschaftlicher Pädagoge hat Lars Müller an verschiedenen Universitäten in der Schweiz und in Europa unterrichtet. In seinen Vorträgen plädiert er für ein politisches Bewusstsein und ein soziales Verantwortungsgefühl bei Designern. Seit 2009 ist er Gastdozent an der Harvard's Graduate School of Design.
This artice was puplished on TYPO Berlin Blog 2012